Laien des Lebens

Superhelden retten nicht unsere Welt

BETRACHTUNG

Coren McGirr

5/1/20252 min read

Ich erlaube mir, etwas leicht Gewagtes zu behaupten: Jede Person ist ein Experte in einem gewissen Bereich des Lebens; und es gibt Experten in scheinbar jedem Bereich des Lebens.

Erwäge Folgendes:

Es gibt Marvel-Experten. Sie wissen alles über die Weltentstehung in den Marvel Comics bis hin zu den kleinsten Details über Iron Man in den Filmen.

Es gibt Star-Wars-Experten. Ihre Kästen sind mit Laserschwertern und Plüsch-Yodas gefüllt. Sie sind imstande, die Handlung aller Star Wars Filme und Serien genauestens nachzuerzählen.

Es gibt Sport-Experten. Etwa Fußball-, Basketball- oder Ski-Fans, deren Verständnis einer Sportart oft sogar dem der Athleten oder gar der Trainer in den Schatten stellt. Sie haben Meinungen zu Mannschaftsaufstellungen, Taktiken und Regeln.

Es gibt Nachrichten-Experten, die seit dreißig Jahren immer am neuesten Stand des Weltgeschehens sind;

Royal-Family-Experten, die vom Tod der Queen auf einer persönlichen Ebene betroffen waren;

Game-of-Thrones-Experten, die selbst gerne Filmdirektor der Serie gewesen wären;

Wein-Experten; Harry-Potter-Experten; Whiskey-Experten; Kunst-Experten; Geschichts-Experten; Modellbau-Experten; Musikband-Experten etc.

Da erkennt man ja leicht: Wenn es ein Thema gibt, dann gibt es auch Experten dazu.

Und das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes. Eigentlich beweist es, dass die Kraft der menschlichen Leidenschaft oft viel stärker als Motivation und Disziplin ist. Wenn Leidenschaft vorhanden ist, dann ist der Wissensdurst für dieses Thema kaum löschbar.

ABER, diese Leidenschaft und dieses Expertenwissen sind keineswegs unproblematisch, denn sie sind im Grunde genommen wertlos.

Marvel-Helden retten nicht unsere Welt. Ob ich mich gut auskenne und einen Film kritisiere oder noch nie von Marvel gehört habe … es ändert bei Marvel absolut nichts.

Sportler, die hoch angepriesen werden, wissen nicht einmal von der Existenz des einzelnen Anpreisers. Ob ich Ronaldo hasse oder liebe, hat auf sein Leben so gut wie keine Auswirkung.

Die Meinung eines vermeintlichen Fußballexperten über die Aufstellung Barcelonas ändert nichts an der tatsächlichen Aufstellung.

Ich kann die Queen noch so sehr betrauern, sie kannte nicht einmal meinen Namen.

Ich würde also nicht unbedingt sagen, dass diese Leidenschaften schlecht sind, doch sie sind mehr oder weniger wertlos. Und es kommt noch schlimmer: Sie bergen zweifelsohne eine gewisse Gefahr.

Die Gefahr dieser Leidenschaften besteht darin, dass sie Ablenkungen sind – große Ablenkungen von den tatsächlich wichtigen Themen im Leben.

Seneca schreibt: „Es ist besser, die Bilanz seines eigenen Lebens zu erstellen, als die des Getreidemarktes.

Dieses Zitat ist einem Brief an seinen Schwiegervater entnommen. Seneca beteuert hier, dass keine Aufgabe oder Verpflichtung in der Arbeit wichtiger sein sollte als die des persönlichen Lebens. Genau wie bei diesen obig genannten Leidenschaftsthemen, sind wir oft Experten in unserem Arbeitsfeld, erweisen uns jedoch als Laien, sobald es um unseren eigenen Geist und unserer eigenen Seele geht.

Dies ist derselbe Punkt, den ich mit der heutigen Betrachtung klarmachen möchte, denn hier besteht das Problem:

Wir werden schnell, von Leidenschaft getrieben, Experten in einem sinnlosen Feld, während wir Laien in den tatsächlich wichtigen Bereichen unseres Lebens bleiben.

Was sind diese wichtigen Bereiche des Lebens?

Grundsätzlich: Die Suche nach Wahrheit. Nichts darf über ihr ragen.

Wichtig ist auch die Erforschung meiner Ängste, die Vernichtung meines Stolzes, der Aufbau meiner Bescheidenheit, mein Umgang mit anderen Menschen, die Auseinandersetzung mit schwerwiegenden Themen, die Verstärkung meiner Ehrlichkeit, das Hinterfragen sozialer Normen, das Beobachten der Welt, die Suche nach Gott.

Wissen in diesen Themen anzureichern, damit meine Handlungen auf einem soliden Fundament liegen, ist unendlich wichtiger als alles über Harry Potter zu wissen.

Wir können es uns nicht leisten, Experten der Fantasiewelt zu werden, während wir als Laien des Lebens verweilen.

Denn wenn du nach moralischen Richtlinien suchst, ist Game of Thrones keine gute Quelle.

Wenn du dem Tode nahestehst, wird dir die Queen keine Geborgenheit schenken.

Und wenn du richtungslos herumirrst, wird dich Iron Man nicht retten.