
Die Herausforderung des Todes
Warum ich mich damit befasse, und du es auch tun solltest
BETRACHTUNG
Vor einiger Zeit habe ich mir ein kleines Zitat ausgedacht, das mich heute noch zum Schmunzeln bringt:
„Ich habe das ganze Beweismaterial analysiert, und habe daraus geschlossen, dass ich unsterblich bin.“
Das hast du richtig gelesen, ich bin unsterblich. Du denkst jetzt wohl, dass ich den Verstand verloren hab, aber lass mich mal erläutern:
Soweit ich mich zurückerinnern kann, bin ich am Leben. Ich sehe, dass Leute um mich herum sterben. Aber ich war schon immer und bin noch immer am Leben. Ich habe also keinen Grund zu glauben, dass ich eines Tages sterben werde. Statistisch gesehen, habe ich, laut meinen Erinnerungen, bis jetzt eine 100%ige Quote. 100% Leben. Also war ich bis jetzt unsterblich. Es gibt keinen Grund, warum sich das ändern sollte.
Ich hoffe es ist klar, dass ich jetzt gerade ein bisschen herumscherze, aber mir scheint es doch, dass wir ziemlich leicht in solch eine Einstellung verfallen können; eine Einstellung der Verleugnung des Todes.
Die Stoiker hatten wohl recht, als sie sagten, dass es wichtig für den Menschen sei, über seinen Tod nachzudenken.
Heute möchte ich drei Fragen bezüglich dem Tod behandeln:
1. Wieso ist es so schwierig, sich Gedanken über seinen Tod zu machen?
2. Wie behandeln wir heutzutage die Herausforderungen, die der Tod stellt?
3. Wieso sollte man sich mit seinem eigenen Tod befassen?
Also, starten wir los:
Wieso ist es so schwierig, sich Gedanken über seinen Tod zu machen?
Unsere westliche Gesellschaft hat den Tod aus dem täglichen Leben ausgegrenzt. Tiere sterben im Schlachthaus, der Mensch im Spital. Wir wurden von der persönlichen Erfahrung entfremdet, die uns daran erinnert, dass das Leben enden muss.
Nur in einem Bereich des Lebens scheint der Tod Teil des öffentlichen Diskurses zu sein. Und womöglich ist es eines der grausamsten Dinge, die unsere Gesellschaft jemals akzeptiert hat: das Töten ungeborener Babys. Ironischerweise würden mir „Pro-Choice“-Vertreter nicht unbedingt zustimmen. Für sie, geht es bei diesem Thema gar nicht um den Tod.
Außer bei der Abtreibung wird der Tod aber von jeglichem Diskurs ausgeschlossen.
Zusätzlich ist es eine große Herausforderung, sich mit dem Tod zu befassen, weil das Thema selbst äußerst schwerwiegend ist. Verlust ist für uns Menschen etwas Schlimmes. Würde eine Überflutung deinen Heimatort heimsuchen und alles, was du hast, mit sich reißen, wärst du sicherlich erschüttert. Sogar wenn ein Dieb nur einige deiner Wertsachen stehlen würde, wärst du sicherlich schon verärgert. Womöglich vermeiden wir es, uns mit dem Tod zu befassen, weil er der größte Dieb ist. Er raubt uns ALLES, was wir auf der Erde besitzen.
Man könnte vielleicht sagen, dass das Sterben ein wenig wie umziehen ist, nur darf man gar nichts mitnehmen: nicht das Haus, nicht deinen Teddy, nicht einmal die Schuhe an deinen Füßen. Alles, was du in deinem Leben gekauft hast, was du verdient und angesammelt hast, dein ganzes Hab und Gut, gehört nicht mehr dir. Alles, wofür du gearbeitet hast, gehört nicht mehr dir. Du hinterlässt jeden Freund, den du je hattest, und jedes Familienmitglied, das du je liebtest.
Deine Realität war deine Welt, die du durch deine Augen gesehen hast. Sie war dein Leben in deinem Kopf und deinem Körper. Das alles wird dir durch den Tod entrissen, und du wirst ins Ungewisse geschleudert.
Das ist SCHWER.
Und das ist womöglich nicht einmal das Schlimmste. Vielleicht ist es noch schlimmer, das zu verlieren, was wir nie hatten. Ja, ich rede über unsere Zukunft. Unsere Zukunft lebt in unserem Kopf. Viele von uns haben Erwartungen an den Verlauf unseres Lebens. Wir träumen von einem Beruf, von der Hochzeit, von einer eigenen Familie, von schönen Urlauben und Enkelkindern. Wir malen uns unsere Zukunft in unserem Kopf aus. „So soll mein Leben ausschauen“, denken wir uns träumerisch. Sich dann mit dem Tod zu befassen, bedeutet zu verstehen, dass diese Träume möglicherweise in Luft aufgehen könnten, bevor wir überhaupt die Chance gehabt haben, sie auszuleben.
Wie behandeln wir heutzutage die Herausforderungen, die der Tod stellt?
Die gängigste Lösung scheint es zu sein, sich einfach nicht damit zu befassen. Problem gelöst. Sich als unsterblich zu sehen, wenn auch vielleicht nur im Unterbewussten, ist einfach leichter. Die Realität beugt sich aber nicht diesen Lügen. Und man lebt keinen Tag länger, keine Sekunde länger, wenn man versucht, seinen eigenen Tod unter den Teppich zu kehren und den Gedanken daran zu verdrängen. Also Problem doch nicht gelöst.
Wenn jemand, den wir kennen, stirbt, sagen wir oft, dass er in unseren Gedanken weiterleben wird. Aber ist es nicht so, dass wir uns nur an die guten Seiten dieser Person erinnern wollen? Schon, eigentlich. Wir töten alle Erinnerungen und Seiten der Person ab, die uns nicht gefallen haben; wir sprechen von ihr, als wäre sie ein Heiliger gewesen.
Warum machen wir das? Womöglich, weil wir wissen, dass auch wir Falsches getan haben, und wir hoffen, dass auch unsere Sünden mit uns sterben werden.
Und schließlich, sollte eine geliebte Person sterben, beginnen die Angehörigen oft religiöse Wünsche und Bemerkungen zu äußern – auch jene, die nicht an Gott glauben. Auch ohne Glauben wird Trost scheinbar bei der Vorstellung eines Gottes gesucht. Vielleicht ist es unerträglich, sich den Tod ohne Gott, ohne Nachleben, sondern nur mit Leere und dem ewigen Nichts, vorzustellen. Oder vielleicht ist unsere Gesellschaft so sehr von religiösen Traditionen geprägt, dass man diese schlicht und einfach übernehmen muss.
Und so kommt es, dass viele am Tag des Begräbnisses religiös werden. Doch danach wird Gott an der Pforte der Kirche stehengelassen, und man kehrt wieder zu seinem alten Leben zurück. Schlussendlich sind diese Rituale einfach eine Art, wie die Gesellschaft an religiöse Traditionen hängt, die keineswegs in den Lehren von Jesus Halt finden und auch nicht ihre tatsächliche Weltansicht widerspiegeln.
Und zuletzt: Wieso sollte man sich mit seinem eigenen Tod befassen?
Ich weiß, es ist schwierig und man will es nicht wirklich machen; aber ich glaube, dass jeder von uns sich mit seinem Tod befassen sollte. Wir haben uns schon so sehr an die Idee gewöhnt, dass wir die Herren unseres eigenen Schicksals sind. Doch der Tod ist der letzte Hinweis, die letzte Mahnung, dass wir uns selbst nicht retten können. Der Tod ist unvermeidlich. Er ist unumgänglich. Ja, man kann die Realität verleugnen, man kann versuchen, Konsequenzen auszuweichen, man kann versuchen, sich die Welt nach Wünschen zu gestalten, aber den Tod, den kann man nicht umgehen. Er ist echt, und er wartet auf uns alle.
Wenn man sich also mit dem Tod befasst, gewinnt das Leben an Dringlichkeit.
Unsere Tage sind gezählt. Unsere Zeit wird daher äußerst kostbar.
Unsere Wörter sind begrenzt. Wir müssen sie also mit Sorgfalt wählen.
Unser Körper wird eines Tages bewegungslos werden. Achten wir also, dass jede Handlung Bedeutung trägt.
Ja, der Tod verleiht dem Leben eine Dringlichkeit.
Ich habe schon einige Zeit über meinen eigenen Tod nachgedacht, und ich würde gerne zum Abschluss dieser Betrachtung noch fünf Punkte mit euch teilen, die ich daraus gelernt habe und wie sie mein tägliches Leben verändert haben:
1) Während ich mich mit dem Tod befasst habe, wurde mir klar, wie fragil das Leben wahrlich ist. Es braucht nicht viel und schon ist es aus – ein Blick auf mein Handy beim Autofahren kann schon reichen.
Diese Fragilität nehme ich nicht nur in mir wahr, sondern auch in meinem Umfeld. Jeden Moment, den ich mit einer geliebten Person verbringe, ist kostbar und einzigartig. Ich will das aktiv wertschätzen und nicht als selbstverständlich hinnehmen.
2) Wir mögen es, die Gräber unserer Geliebten, die wir so sehr vermissen, mit Blumen zu schmücken; doch die Toten brauchen unsere Blumen nicht, die Lebenden aber schon. Es sind die Lebenden, die wissen müssen, dass sie geliebt werden.
3) Viel zu oft passiert es, dass wir allzu schnell andere schlecht behandeln und über sie urteilen. Erst wenn eine Person stirbt, wird sie von unseren Worten gepriesen, doch dann ist es schon zu spät. Der Tod hat mich gelehrt, anderen mit Geduld und Liebenswürdigkeit zu begegnen.
4) Ich habe gelernt, wie wichtig die zeitige und aufrichtige Vergebung ist. Ich weigere mich, gegen irgendjemanden einen Groll zu hegen. Wie viele Gräber sind von den Tränen derer gegossen, die einen Geliebten verloren haben, während Streit noch ihre Beziehung belastete? Der Tod könnte hinter jeder Ecke lauern. Ich will es nicht versäumen, zu vergeben.
5) Das Nachdenken über den Tod hat mir geholfen, das Wichtige im Leben zu priorisieren, sodass ich mich nicht in Nebensächlichkeiten verfange. Es hat mir erlaubt, die Einmaligkeit des Lebens zu verstehen. Mir wurde ein einziges Leben auf dieser Welt geschenkt. Ich will es nicht fahrlässig verbringen. Das wäre mir und Gott gegenüber respektlos.
Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, über den Tod zu reden (wie du an der Länge dieser Betrachtung wohl erkennen kannst). Sollten wir es vermeiden, kann der Tod leicht der Ursprung von Angst, Bedauern, Kummer und Sorge werden. Wenn wir aber Zeit damit verbringen, über ihn nachzudenken und seine Wirklichkeit zu erkennen, dann ermuntert uns der Tod, ein zielstrebiges und bewusstes Leben zu führen.
Ich rate dir: Befasse dich mit deinem Tod.

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